Findbuch "Kollegiumsprotokolle": Vorwort
von Albrecht Kästner
Am 10. Februar 1956 konstituierte sich das Kollegium des Ministeriums für Nationale Verteidigung in den Räumen des Ministeriums in Strausberg bei Berlin. Das Protokoll Nr. 1/56 nennt als Teilnehmer:
- den Minister für Nationale Verteidigung, /Generaloberst/ Stoph
- den Chef des Hauptstabes, Generalleutnant Müller
- den Chef der Politverwaltung, Generalmajor Dickel
- den Stellvertreter für Bewaffnung und Technik, Oberst Freyer
- den Chef für Bauwesen und Unterbringung, Generalmajor Menzel
- den Chef Rückwärtige Dienste, Generalmajor Allenstein
- den Chef des Militärbezirkes Süd, Generalmajor Johne
- den Chef der Seestreitkräfte, Konteradmiral Scheffler
- den Chef der Verwaltung Kader, Generalmajor Munschke.
An der ersten Tagung nahmen auch der Militärstaatsanwalt Oberst Berger, als Vertreter des Chefs des Militärbezirkes Nord, Oberst von Witzleben und als Vertreter des Chefs der Luftstreitkräfte, Oberstleutnant Sommerfeld teil. Mitglieder des Kollegiums waren nicht, sind aber als Teilnehmer aufgeführt:
- der Leiter der Sicherheitsabteilung des ZK der SED, Röbelen und
- der Chef der Verbindungsoffiziere, Oberst Kleinjung.
Das Kollegium war de facto keine Neugründung, da bereits in der Kasernierten Volkspolizei, aus der die NVA im wesentlichen hervorging, im Stab ein Kollegium existierte.
Die Kontinuität brachte auch Minister Stoph in seinen Ausführungen zum Statut zum Ausdruck: "In der bisherigen Arbeit des Kollegiums waren gute Ansätze zur Erreichung einer kollektiven Arbeit vorhanden."
Die Bildung von Kollegien ging auf eine Verordnung des Ministerrates der DDR vom 17. Juli 1952 (MinBl. S. 109) zurück, die für alle Ministerien und selbständige Staatssekretariate verfügt wurde. Die Verordnung definierte Kollegien wie folgt: "Die K. sind Beratungsorgane der Minister, aber keine selbständigen Leitungsorgane der Ministerien. Dem K. gehören der Minister, der Staatssekretär und die Stellvertreter des Ministers sowie Leiter von Abteilungen und andere leitende Mitarbeiter des Ministeriums an. An seinen Sitzungen nehmen der Sekretär der Parteiorganisation des Ministeriums und zu bestimmten Tagesordnungspunkten gesondert geladene oder externe Experten teil."
Im Ministerium für Nationale Verteidigung gab es keinen zivilen Staatssekretär, auch eine Parteiorganisation mit einem gewählten Sekretär an der Spitze gab es in der von der Verordnung formulierten Vorgabe nicht. An deren Stelle waren der Chef des Hauptstabes, der den in früheren deutschen Streitkräften tätigen Chef des Generalstabes ersetzte und der Chef der Politischen Verwaltung (ab 1961 Chef der Politischen Hauptverwaltung) sowie die Chefs der Teilstreitkräfte und Militärbezirke getreten.
Der Chef Rückwärtige Dienste wurde später ebenfalls nominell Stellvertreter des Ministers wie auch die Chefs der Teilstreitkräfte ab 1972. Dafür verloren die Chefs der Militärbezirke ihre Position im Kollegium.
Keine Stellvertreter waren der Chef für Bauwesen und Unterkunft sowie der Chef der Verwaltung Kader.
Minister Stoph forderte auf dieser ersten Sitzung des Kollegiums seine Mitglieder in Anbetracht der neuen Aufgaben auf, das Ressortdenken zu überwinden und aktiv mitzuarbeiten.
Das erste Statut ist im Bestand nicht überliefert, dürfte aber inhaltlich an das Statut des Kollegiums der KVP anknüpfen.
Mit der Ernennung von Generaloberst Heinz Hoffmann zum Minister für Nationale Verteidigung im Juli 1960, wurde dieser Vorsitzender des Kollegiums. Der Chef des Hauptstabes i. V. Generalmajor Riedel rückte ebenfalls nach.
Der Nationale Verteidigungsrat, seit 1960 höchstes Gremium für Belange der Streitkräfte und der inneren Sicherheit, bestätigte am 3. Mai 1961 ein neues Statut für das Kollegium. Es behandelte und regelte Stellung, Aufgaben und Rechte sowie Zusammensetzung und Arbeitsweise.
Mit Befehl Nr. 147/72 des MfNV wurde die Zusammensetzung des Kollegiums neu geregelt. Neben dem Minister waren alle Ministerstellvertreter im Ministerium, die zu Stellvertretern des Ministers ernannten Chefs der Teilstreitkräfte, der Chef der Grenztruppen sowie der neue Hauptinspekteur der NVA Mitglieder des Kollegiums.
In der Kollegiumssitzung vom 13. November 1972 fand eine Diskussion zur neuen Arbeitsordnung statt. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob das Kollegium Beschlüsse fassen könne, die dann für den Minister verbindlich wären. Damit war das Problem kollegiale oder Einzelleitung angesprochen. Man folgte dann dem Vorschlag des Leiters der Sicherheitsabteilung, Generaloberst Scheibe, der bemerkte, wenn "das Kollegium ein beratendes Organ ist, kann es auch keinen Beschluß fassen. Der Einzelleiter ist für seine Arbeit voll verantwortlich." In die Arbeitsordnung über die "Arbeitsweise des Kollegiums des MfNV" wurde an die Stelle von "Vorschlag für die Aufgabenstellung" der Begriff "Empfehlungen" gesetzt.
Im Jahr 1973 erfolgte die Neufassung des Statuts des Ministeriums für Nationale Verteidigung. Darin wurden die Stellung des Nationalen Verteidigungsrates, des Komitees der Verteidigungsminister sowie die Direktiven und Empfehlungen des Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte stärker hervorgehoben. Das Statut bestimmte auch die Stellung des Kollegiums als beratendes Organ des Ministers. Aufgaben und Arbeitsweise waren durch eine Arbeitsordnung zu regeln.
In der Sitzung des Kollegiums vom 5. Februar 1973, in der das vorliegende Statut beschlossen wurde, verlangte der Minister energisch, den Befehl als grundsätzliche militärische Bestimmung im Konzert der Weisungen an die erste Stelle zu setzen, was von der Rechtsabteilung offensichtlich anders gesehen wurde.
Der Befehl 22/87 des Ministers für Nationale Verteidigung vom 6. November 1987 befaßt sich letztmalig mit der "personellen Zusammensetzung des Kollegiums des MfNV". Neben den bereits bekannten Funktionsträgern im MfNV kam jetzt als Vollmitglied der Chef Finanzökonomie, Generalleutnant Tappert, hinzu.
Ständige Teilnehmer, aber nicht Mitglieder des Kollegiums waren neben dem Leiter der Zivilverteidigung, der Militäroberstaatsanwalt, der Chef der Verwaltung 2000 und der Leiter der Sicherheitsabteilung des ZK der SED.
Als Grundlage für die Arbeit des Kollegiums wird im Befehl die Ordnung Nr. 009/9/004 genannt.
Von 1956 bis 1990 wurden in jedem Jahr Sitzungen des Kollegiums durchgeführt. Die Protokolle sind mit Ausnahme des vom 12. Oktober 1989 alle überliefert. Die Anzahl der Sitzungen schwankt zwischen 4 und 9 pro Jahr. Nach den Arbeitsordnungen hätten es jeweils 6 sein müssen. Der reale Beratungsbedarf scheint aber unterschiedlich gewesen zu sein. So fanden 1956 Sitzungen statt, 1961 waren es 11 und 1973 10 Sitzungen.
In den 80er Jahren nahm die Sitzungshäufigkeit ab. Im Jahr 1983 wurden nur 2, 1984 und 1985 je 3 Sitzungen durchgeführt. In den Jahren 1987 und 1988 war der Beratungsbedarf mit 7 und 8 wieder angewachsen.
Überwiegend befaßte sich das Kollegium mit Sachfragen, wobei insbesondere die militärische Ausbildung, die Beratung der Führungsdokumente (Befehle 100 und 101), die Qualifizierung der Offiziere, die vormilitärische Ausbildung in der Gesellschaft für Sport und Technik an erster Stelle zu nennen sind. Ab 1966 berichtete der Chef Aufklärung regelmäßig zu Problemen der NATO z. B. über die Übungen "Fallex", "Großer Rösselsprung", "Wintex", "Reforger" und zuletzt "Wintex/Cimex". Nur in den Jahren zwischen 1979 und 1988 sind in den Protokollbänden keine Ausführungen des Chefs Aufklärung zu finden.
In den ersten Jahren sind noch kontrovers geführte Diskussionen erkennbar. In den 70er und weiteren Jahren ist das ähnlich anderen Gremien der NVA, die hierarchisch zusammengesetzt sind, nicht mehr zu finden.
Im Jahr 1976 referierte der Chef der PHV vor dem Kollegium und dem Sekretariat der PHV zu Fragen des IX. Parteitages der SED. Mit Beginn der Amtszeit von Generaloberst Keßler als Chef der PHV wurden die Kollegiumssitzungen wesentlich stärker politisiert, d. h. der Chef der PHV hielt politische Vorträge, die im allgemeinen nicht über das hinausgingen, was auch in den Parteizeitungen zu lesen war. Im Jahr 1979 wurden zwei Beratungen gemeinsam mit den unterstellten Kommandeuren der Verbände und Truppenteile zu den Ausbildungsaufgaben einberufen.
Das Protokoll vom 12. Oktober 1989 ist nicht überliefert. Es könnte sein, daß die Sitzung in dieser turbulenten Zeit auch wegen der Auslandsdienstreise von Minister Keßler ausfiel?
Im Jahr 1990 führte Minister Theodor Hoffmann noch zwei Sitzungen des Kollegiums durch, die letzte am 23. März 1990.
Der Teilbestand "Kollegium des Ministeriums für Nationale Verteidigung" wurde Ende 1998 im Rahmen einer Wehrübung in Absprache mit Oberst i. G. Dr. Ehlert (MGFA) von Hauptmann d. R. Dr. Frank Bauer bis zum Jahrgang 1972 geordnet und verzeichnet. Herrn Dr. Bauer sei an dieser Stelle herzlich für die geleistete Arbeit gedankt. Die restliche Erschließung und Findbuchfertigung erfolgte im Sommer/ Herbst 1999.